Die Ampel-Koalition will, dass jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen entstehen. Eigentlich eine gute Idee. Aber Analysen zeigen, dass der Bedarf nicht überall gleich groß ist. Schon jetzt wird in manchen Gegenden zu viel gebaut. In vielen Ballungsregionen hingegen zu wenig. Diese Diskrepanz ist auch im Ruhrgebiet erkennbar.
So entsteht in manchen Städten an der Ruhr zu wenig Wohnraum, während in anderen über Bedarf geplant und gebaut wird. In Essen ist beispielsweise der Wohnungsbedarf in den zurückliegenden Jahren gestiegen. Während zwischen 2016 und 2020 der Wohnungsbedarf zu 75 Prozent gedeckt werden konnte, ist in naher Zukunft mit einer unzureichenden Bedarfsdeckung zu rechnen: Bis Ende 2025 sollen lediglich 48 Prozent der notwendigen Wohnungen und Häuser entstehen. Dies geht aus Daten des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) hervor. Die Wissenschaftlerinnen und Experten verglichen bundesweit den Bedarf und das Neubauvolumen miteinander und veröffentlichten dazu Ende November 2021 eine Analyse.
Essen profitiert von Bevölkerungszuwachs
Dass es in der Ruhrmetropole Essen zu diesem Missverhältnis kommt, mag daran liegen, dass die Stadt seit wenigen Jahren wieder ein Bevölkerungswachstum verbuchen kann. Bis 2030 soll die Zahl der Einwohner von circa 584.000 auf über 600.000 steigen. Dementsprechend wird auch der Wohnraumbedarf klettern. „Außerdem sieht man anhand der zuletzt steigenden Mieten und Immobilienpreise, dass Bewegung in den Essener Wohnimmobilienmarkt gekommen ist“, erläutert Stefan Pásztor, Vorsitzender des Ring Deutscher Makler (RDM), Bezirksverband Essen. Dabei bezieht er sich auf die aktuellen Daten des RDM-Preisspiegels.
Musterschüler Mülheim an der Ruhr
Eine gute Balance zwischen Nachfrage und Bauvolumen schafft die Stadt Mülheim an der Ruhr. Laut IW-Daten wurde zwischen 2016 und 2020 der Bedarf zu 93 Prozent gedeckt, bis Ende 2025 soll er mit 104 Prozent knapp darüber liegen. Ebenso ist in Oberhausen das Verhältnis mit 119 Prozent zu 99 Prozent nahe am Optimum.
Eine Bautätigkeit weit über Bedarf konstatierte das IW in Bottrop: in den zurückliegenden fünf Jahren lag das Bauvolumen mit 146 Prozent weit über dem Bedarf, auch künftig soll das Verhältnis mit 136 Prozent über den Wohnraum-Erfordernissen liegen. Noch weiter weg vom Bedarf ist die Bautätigkeit im Hochsauerlandkreis, die ans Ruhrgebiet grenzt: Der Wert liegt bei 286 Prozent über dem künftigen Bedarf.
Die Folgen könnten sein, dass durch ein Mehr an Neubau die Preise für gebrauchte Immobilien sinken. Auch die Mieten könnten in bestehenden Mietshäusern zurückgehen, weil sich viele Verbraucher auf der Suche nach einer neuen Bleibe lieber für eine neu errichtete Wohnung entscheiden als für eine Bestandswohnung. „Vermieter, deren Wohnungen nicht zeitgemäß modernisiert sind, werden Probleme haben, diese zum gewünschten Preis zu vermieten. Möglicherweise müssen sie mit einigen Monaten Leerstand rechnen“, erläutert Experte Pásztor.
Daher sollten die Kommunen nicht auf Teufel komm raus neues Bauland ausweisen, sondern genauer hinschauen wie die Prognosen lauten hinsichtlich der Zahl der künftigen Arbeitsplätze, ihrer Einwohnerentwicklung und der möglichen verbesserten Anbindung an Oberzentren. In der Region könnte beispielsweise der Rhein-Ruhr-Express und die geplante bessere Taktung des Bahn-Fernverkehrs dazu beitragen, dass das Pendeln zwischen den Regionen attraktiver wird.